Mein Erfahrungsbericht über die Reise in den wilden Osten der Türkei
I
ch merke erstmals, dass mir das neue Klima zu schaffen macht: Es ist trocken und die Hitze nicht beißend - dennoch muss ich mich akklimatisieren. Wo, wenn nicht am See? Wir fahren an der Küste entlang und suchen einen geeigneten Badeplatz - was sich als nicht allzu einfach herausstellt: Schwimmen, Tauchen und Bootfahren sind im kulturellen Gedächtnis der Bewohner Vans nicht verankert. Der 3.713 km2 große See wird viel mehr als Ressource, denn als Freizeitort gesehen. Er besteht zu 25% aus Salz- und 75% aus Sodawasser, ist durch die vulkanische Aktivität der Region entstanden und das Soda wird zur Herstellung von Waschmitteln verwendet. Nach einer kleinen Rundfahrt mit dem Auto, finden wir schließlich einen passenden Badestrand. Besucher sind wenige da und wir können unseren Platz frei wählen. Das Wasser fühlt sich gut auf der Haut an und durch den hohen alkalischen Gehalt, sind sehr viele Blau-Töne zu erkennen, wie man mir erklärt. Ich verzichte auf die obligatorische Dusche nach dem Baden und werde es nicht bereuen.
Weiter geht es für einige Erledigungen in die Stadt und ich kann mir mein Tag zuvor skizziertes Bild weiter ausmalen: Straßenverkehrsordnung wird in Van kleingeschrieben: Autos und Busse bewegen sich hupend durch die dicht befahrenen Straßen und engen Gassen. Große, eindrucksvolle Panzerwagen sieht man an jeder Kreuzung und auf jedem Platz - ich fühle mich sicher. Jedes noch so kleine Geschäftslokal wird genutzt, Menschen sitzen auf kleinen Hockern, die über die Gehsteige verteilt sind, überall entdecke ich Marktstände und Spieltische. Junge Burschen starten nach der Schule Ihre ersten gewerblichen Gehversuche und junge Mädchen flanieren lachend in unterschiedlichsten modischen Stilrichtungen durch die Straßen und Gassen. Im Dickicht der Leuchtreklamen sind zahlreiche mir bekannte Marken zu sehen. Einzig westlich anmutende Menschen scheinen Van fernzubleiben, und meine Fremdartigkeit für die Bewohner der Stadt, wird durch folgende Szene unterstrichen: Als wir in Van gerösteten Café kaufen, bittet mich die Verkäuferin um ein Foto für die Sozialen Medien der Marke. Fast, als wäre ich ein Filmstar.
Abends sind wir zu einem Barbecue bei Verwandten eingeladen und werden in einem Raum mit traditionellen, ebenerdigen Sitzelementen empfangen - auch orientalische Ecke genannt. Erstmals fallen mir die auf mich gerichteten neugierigen Augen auf: Ich bin der erste ausländische Besucher bei den Gastgebern und für viele der erste Mitteleuropäer, den sie kennenlernen oder sehen: Ein Exot, wie man mir sagt. Nach einer Weile bewegen wir uns auf die Terrasse. Gegrillt bzw. gekocht werden Hühnerkeulen, - stark gewürzt, versteht sich – ein wunderbarer Eintopf mit Lamm und Gemüse, und direkt daneben wird frisches Fladenbrot gebacken: Der bezaubernde Duft lässt mich erahnen, was auf mich zukommt. Wir bilden eine Gruppe auf dem Boden und unterhalten uns - mittlerweile sind auch die Frauen nachgekommen, bleiben aber eher im Hintergrund. Einstweilen beantworte ich - dank meines Freundes aus Wien fast simultan übersetzt - unzählige Fragen. Nach einiger Zeit kristallisiert sich meine lederne Tabak-Tasche als Mittelpunkt des Interesses heraus: Die jüngeren der Runde halten meinen aus Österreich mitgebrachten Tabak - nicht nur des Preises wegen - für besser und rauchen ihn mit mir. Die Älteren blicken fast wehmütig auf die Tasche und erzählen mir, dass sie in ihrer Jugend selbst gedreht hätten, dies aber ausgestorben sei.
Langsam beginn ich zu verstehen, wie vielschichtig und gegensätzlich die Kultur im Osten der Türkei ist. Auf der einen Seite begegne ich zeitgemäßen Standards und finde – für mich als Westeuropäer gewohnte – Maßstäbe: Tempo, Dynamik, Vielfalt, und auf der anderen Seite Tradition, konservativ anmutende Gebräuche und strikte Geschlechtertrennung: Mann und Frau leben teils in unterschiedlichen Welten. Ich freue mich bereits jetzt auf die kommenden Tage, um Tiefer in diese spannende Kultur einzutauchen und die Menschen besser kennen zu lernen. Es wird sich lohnen.
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